Walfang für Damentaillen
Schachtel mit etwa 84 Stäben aus Fischbein
Karton, dunkelbraun kaschiert, darauf ein Etikett mit der grafischen Darstellung eines Walfängers und der Aufschrift „Naturfischbein“, um 1870-1900
Karton, Papier, Fischbein, Draht
Schachtel 3,5 x 6 x 23 cm, die Stäbe jeweils ca. 22 x 0,8 cm
© Schloß Wernigerode GmbH, Inv.-Nr. Tx 000523
Die Ende 2022 für die Schloß Wernigerode GmbH erworbene Mode- und Textilsammlung des Trierer Designers und Restaurators Ralf Schmitt (1963-2021) umfasst neben einer Vielzahl von historischen Kleidungsstücken auch Objekte, deren Zusammenhang und einstige Funktion sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Dazu gehört eine Schachtel aus Karton, auf deren Deckel sich die grafische Darstellung eines in einem Boot stehenden Walfängers mit Lanze befindet, dem sich von links ein Walfisch nähert, der gerade durch sein Blasloch feuchte Atemluft ausstößt, die früher irrtümlich als Wasserfontäne dargestellt wurde.
In der Schachtel befinden sich sieben Bündel mit jeweils etwa zwölf schwarzen Stäben, deren Enden abgerundet und mit einem kleinen Loch versehen sind. Ihre biegsame und zugleich feste Konsistenz lässt sie zunächst wie Kunststoff erscheinen, doch handelt es sich – wie auf dem Etikett angegeben – um Naturfischbein. Dieses etwas missverständlich benannte Material wurde aus den Barten verschiedener Walarten gewonnen, mit denen diese Plankton aus dem Wasser filtern. Aufgrund seiner faserigen Beschaffenheit lässt sich Fischbein leicht spalten und zu gewünschter Größe schneiden, um danach in heißem Wasser eingeweicht und weiter verarbeitet zu werden.
Aufgrund seiner elastischen und dauerhaften Beschaffenheit wurde es vom 17. bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein zur Versteifung von Kleidungsstücken und hierbei vorrangig als Taillenstäbe in Korsetts und Damenkleidern sowie für ausladende Röcke verwendet. Weitere Einsatzmöglichkeiten waren u.a. Hüte und Sonnenschirme, aber auch die Herrenmode bediente sich mitunter dieser buchstäblich „Haltung“ verleihenden Formelemente. Die internationale Nachfrage war zeitweilig so groß, dass der Bestand an Bartenwalen bedrohlich sank. Aber auch für die modebewusste Damenwelt war es zweifellos eine Erleichterung, als sich der Kleidungsstil spätestens in den 1920er Jahren zu freieren, bequemeren Formen hin entwickelte und diese körpernahe Einengung hinter sich ließ.
Autor: Ulrich Feldhahn
Link zu museum-digital: https://st.museum-digital.de/object/121886
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